Porzer Handwerksmeister

Verein Selbständiger Handwerksmeister Porz e.V. 1907



Neujahrsempfang 2012

15.01.2012

Neujahrsansprache von Karl-Heinz Miebach

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

schauen wir zurück auf das vergangene Jahr, so können wohl die Meisten von uns mit der wirtschaftlichen Lage durchaus zufrieden sein. Es hat eine wirtschaftliche Erholung stattgefunden. Eine Konsolidierung hat stattgefunden, viele Betriebe haben Gewinne eingefahren, manche Betriebe sind auch gewachsen und haben neue Mitarbeiter eingestellt.

Auch wenn es in einzelnen Gewerken Ausreißer nach unten gegeben hat, so ist es wohl nicht übertrieben, wenn das Jahr 2011 aus wirtschaftlicher Sicht als für das Handwerk im Großen und Ganzen gutes Jahr bezeichnet werden kann.

Das Handwerk ist der bedeutendste und vielseitigste Wirtschaftszweig in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, NRW.

Im nordrhein-westfälischen Handwerk arbeiten in rund 184.000 Betrieben fast 970.000 Menschen. Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz von ca. 104 Milliarden Euro. Das Handwerk ist damit der stärkste Wirtschaftsbereich.

Das Handwerk ist auch der größte Ausbilder in NRW und so tragen wir maßgeblich dazu bei, dass die nordrhein-westfälische Wirtschaft auch in Zukunft konkurrenzfähig bleibt.

Bedenkt man nun, dass im Handwerk durch die Bank weit über den eigenen Bedarf ausgebildet wird, so kommt auch hier das Handwerk seiner sozialen Verantwortung für die gesamte Gesellschaft nach, von der sich manch ein Industriebetrieb eine Scheibe abschneiden kann.

Das duale Bildungssystem mit seiner Kombination von betrieblicher Praxis und theoretischem Unterricht sichert dabei die hohe Qualität der Ausbildung im Handwerk. Gerade für dieses duale Bildungssystem werden wir im Ausland beneidet und manche Staaten würden es gerne einführen, doch fehlen dort oftmals die erforderlichen Strukturen.

Damit ist das Handwerk in punkto Ausbildung hierzulande insbesondere für den nicht-akademischen Nachwuchs der Weg zu wirtschaftlichem Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen. Kein anderer Wirtschaftszweig in NRW beschäftigt mehr gewerblich-technische Arbeitskräfte, nämlich über 960.000 Mitarbeiter.

Umso ärgerlicher ist der Umstand, dass die Kultusministerkonferenz das Abitur höherwertig einstuft als einen Abschluss im dualen Bildungssystem.

Arbeitsplätze werden überwiegend in mittelständischen Unternehmen und Handwerksbetrieben geschaffen und gesichert. Entsprechend der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Handwerks und angesichts der seit Jahren mehr als schwierigen konjunkturellen Lage gilt es daher diesen Wirtschaftszweig verstärkt zu fördern. Nur dies bietet Gewähr dafür, dass sich die insgesamt erfreuliche Tendenz fortsetzt, nach der es dem Handwerk selbst in den wirtschaftlich desaströsen vergangenen Jahren gelungen ist, sich zu behaupten. Diese Basis des Handwerks beruht im wesentlichen darauf, dass die Betriebsinhaber insbesondere als Meister umfassend auf die Unternehmensführung vorbereitet sind. Ein aussagekräftiger Gradmesser für die so erreichte Stabilität ist die auch weiterhin deutlich unterdurchschnittliche Insolvenzquote.

Aus diesem Grund muss jeder weitere Angriff von Seiten der Politik auf den Meisterstatus bekämpft werden.

Die Aufhebung des Meisterzwangs im Bereich des Fliesenlegerhandwerks hat die katastrophalen Auswirkungen gezeigt:

  • Die Ausbildungsquote sank auf ein unbedeutend geringes Niveau, was zur Folge hat, dass in absehbarer Zeit ein enormer Fachkräftemangel zu erwarten ist.
  • Eine Vielzahl von minderqualifizierten und nicht ausreichend ausgebildeten Ein-Mann-Betrieben machen den noch verbliebenen Meisterbetrieben, die auf Qualität achten, das Leben schwer und verderben die Preise.

Nur davon möchte heute in der Politik keiner mehr etwas wissen, ist doch der dafür verantwortliche Superminister Wolfgang Clement längst im Ruhestand.

In den vergangenen Jahren mit Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit wurde seitens des Handwerks dem Drängen der Politik nachgegeben und Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt, was eben machbar war.

Jetzt wandelt sich das Blatt langsam aber sicher; ein Fachkräftemangel zeichnet sich ab, bzw. ist in manchen Gewerken schon spürbar.

Und eben deshalb darf das Handwerk, darf der gesamte Mittelstand nicht weiter belastet, sondern entlastet werden.

Das Handwerk muss entlastet werden von immer neuen Vorschriften und Zwängen, die uns das Leben schwer machen.

Die Bürokratie ist immer noch immens. Auch wenn seitens der Politik hier schon etwas getan worden ist, so sollte das erst der Anfang sein, denn dieser Tropfen auf den heißen Stein ist schnell verdampft.

Anstatt den Wirtschaftsbereich Handwerk zu fördern, werden ihm immer neue Belastungen aufgebürdet:

Die Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes auf nunmehr 475 % durch die Stadt Köln ab dem Jahre 2011 ist eine dieser zusätzlichen Belastungen und kontraproduktiv für den Wirtschaftsstandort Köln.

Das Handwerk und die gesamte Wirtschaft hat sich auf die gegenteiligen Festlegungen in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung ebenso verlassen, wie auf die mehrmaligen öffentlichen Zusicherungen des Oberbürgermeisters.

Soviel zur Verlässlichkeit von Politik.

In der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist auf Seite sieben zu lesen: "Der Gewerbesteuersatz (450 Prozent) soll stabil bleiben, um die Wettbewerbsfähigkeit Kölns zu erhalten. Vorrangig ist eine verstärkte Bestandspflege und Unternehmensansiedlung, um mehr Steuereinnahmen zu erzielen".

Soweit die Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün.

Wenn man bedenkt, dass die Einnahmen aus der Gewerbesteuer rund 900 Millionen beträgt, die von der Wirtschaft in Köln aufgebracht wird und rechnet dann noch die Grundsteuer und die Einkommensteuer der Unternehmer hinzu, so trägt die Kölner Wirtschaft weit über die Hälfte des städtischen Haushalts.

Obwohl letztes Jahr die Gewerbesteuer erhöht wurde, sprudelt sie wohl nicht so wie erwartet. Da man in Köln lieber die Einnahmen erhöht, als die Ausgaben zu senken, musste also flugs eine neue Steuererhöhung ran. Das Thema Gewerbesteuererhöhung war jedoch noch zu frisch. Man kann schließlich nicht jedes Jahr die Gewerbesteuer erhöhen.

Aber es gibt ja noch genügend andere Steuern, so die Grundsteuer zum Beispiel.

Da wurde doch im zweiten Anlauf, nachdem sich Rot-Grün wieder zusammengerauft hat, die Grundsteuer doch noch erhöht. Das beschert der Stadt Mehreinnahmen von gut 6 Millionen Euro.

Unter dem Vorwand der höheren Kosten für den Winterdienst sollten also nun endlich mal die "reichen Haus- und Grundbesitzer" ihren Beitrag für das Gemeinwesen leisten. Ich frage mich nur, wieso die Kosten für den Winterdienst auf einmal so hoch sein sollen. Alle Welt redet von Klimawandel und Erderwärmung, und dass früher die Winter viel schöner waren und mehr Schnee hatten. Als ob es früher weniger geschneit hätte. Und jetzt auf einmal das: Die Kosten für den Winterdienst sind unerwartet hoch. Also Steuern rauf.

Ein Punkt an der ganzen Sache kommt mir allerdings zu kurz und wurde in den Medien meines Erachtens zu wenig beachtet:

Die Grundsteuer gehört zu den "umlegbaren Kosten" eines Mietobjektes. Das heißt, die Grundsteuer ist Teil der Mietnebenkosten. Und so bezahlen nicht die "reichen und bösen Haus- und Grundbesitzer" die Steuer, sondern deren Mieter.

Das dürfen Sie sich durchaus mal auf der Zunge zergehen lassen:

Eine Koalition aus Sozialdemokratie und Grünen beschließt eine Steuer zu Lasten des "kleinen Mannes, bzw. Frau". Das hat doch mal Neues.

Dass die Städte und Gemeinden zu wenig Geld haben, liegt jedoch nicht an der hiesigen mittelständischen Wirtschaft. Das Problem liegt ganz woanders.

Die Wirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Zuerst klammheimlich, eher unbemerkt und dann immer rasanter und schneller. Die Menschen und die Politik haben es zuerst nicht bemerkt und die Politik ist dann mit der Steuergesetzgebung nicht mehr hinterhergekommen. Auch, weil dies auf europäischer Ebene geschehen muss und hier die Entscheidungsprozesse noch länger sind.

Die Wirtschaft hat sich verändert, weil ein Teil dieser Wirtschaft, nämlich die Finanzwirtschaft mittlerweile einen Anteil am Gesamten hat, der beängstigende Ausmaße erreicht hat. Da werden Milliarden in Sekundenbruchteilen durch die virtuelle Welt geschickt, dass einem schwindelig wird. Das System ist nur noch für wenige Insider wirklich durchschaubar.

Ich kann mich an eine Unterhaltung mit meiner Mutter erinnern, es muss so 1982 oder 83 gewesen sein. Ich las folgendes in der Zeitung:

"Die Daimler-Benz Aktien haben kräftig zugelegt, weil es Mercedes gelungen ist, die Raumlenkerachse zu entwickeln und serienreif einbauen zu können."

Zur Erläuterung:

Bis dahin waren die Hinterachsen bei Fahrzeugen starr; durch die Raumlenkerachse wurde eine wesentliche Steigerung des Fahrkomforts und der Fahrsicherheit erreicht. Ich weiß noch wie heute, dass ich damals zu meiner Mutter sagte:

Verdammt, das hätte man wissen müssen und vorher Aktien kaufen sollen.

Das war so, wie gesagt 1982 oder 83.

Der Grund, dass ich mich heute nach fast 30 Jahren daran erinnere ist folgender:

Einer Firma, hier Mercedes, ist es durch Forschung und Entwicklung gelungen ein gutes Produkt herzustellen und marktreif zu machen. Ein Produkt, dass die Mitbewerber nicht haben. Ein Produkt, dass die Fahrzeuge von Mercedes komfortabler und sicherer gemacht hat.

Die Belohnung dafür:

Eine Steigerung des Marktwertes von Daimler-Benz durch Anstieg des Aktienkurses, begründet auf einer substantiellen Steigerung von Know-How in Form von Patenten, d.h. die Substanz von Daimler-Benz hat sich gesteigert, was sich im Aktienkurs widerspiegelte.

Und was ist heute:

Im Jahre 2010 betrug das Volumen der Devisengeschäfte 955 Billionen Dollar.

Ich wiederhole die Zahl gerne: 955 Billionen Dollar.

Das ist eine Zahl, wo nach der 955 noch 12 Nullen hinterherkommen.

Zum Vergleich dazu:

Der Wert aller auf der Welt hergestellten Güter und Dienstleistungen betrug im gleichen Jahr dagegen nur 63 Billionen Dollar.

Ich will hier nicht mit zu vielen Zahlen um mich werfen. Die kann sich keiner merken.

Merken Sie sich nur das Verhältnis:

955 zu 63, das ist ein Verhältnis von ungefähr 15 zu 1.

Also das 15-fache dessen, von dem, was tatsächlich an Waren produziert oder an Dienstleistungen erbracht worden ist, wurde im gleichen Zeitraum an Devisengeschäften weltweit umgesetzt.

Aber es geht noch weiter:

Das Volumen der außerbörslich gehandelten Finanzderivate betrug 601 Billionen Dollar. (Verhältnis 10:1).

Dagegen ist der Aktienhandel mit 87 Billionen Dollar quasi vernachlässigbar.

Und da soll einem nicht schwindlig werden. Heute würde die Börse eine ähnlich bedeutende Produktentwicklung von Daimler-Benz wahrscheinlich noch nicht einmal bemerken.

Und das ist die Krux an der ganzen Geschichte:

Bei dem Wertpapierhandel mit all seinen Facetten steht nicht mehr das Produkt, geschweige denn der Mensch im Mittelpunkt, sondern es alles nur noch wilde Zockerei.

Wurde früher gegen Firmen gekämpft, Aktien heimlich aufgekauft und feindliche Übernahmen durchgeführt, so wird heute gegen Staaten gezockt, was das Zeug hält.

Die Finanzmärkte treiben die Politiker vor sich her. Wenn Sarkozy seinen Urlaub unterbricht, nehmen sie gerade Frankreich ins Visier – weil sie glauben, dass die Lage des Landes schlimmer ist als angenommen. Als sich im letzten Herbst Silvio Berlusconi mit seinem Finanzminister gestritten hat, attackierten sie Italien, weil der Sparwille in Frage gestellt wurde.

Wenn ich mir das so alles anschaue, dann kommt mir der von Michael Douglas gespielte Gordon Gecko in dem Hollywoodstreifen "Wall Street" vor, wie ein Chorknabe vor dem Stimmbruch.

Gerechterweise muss ich allerdings auch sagen:

Wenn die Staaten nicht so viele Schulden angehäuft hätten, wären sie auch kein Ziel für diese Finanzzocker.

Dann könnte nämlich jeder Staat leicht ein solchen Angriff abwehren.

Und da kommen wir wieder zu der Verantwortung unserer politischen Elite in Berlin. Da ist verantwortungsvolles Handeln gefragt, über Parteigrenzen hinweg und auch über den nationalen Tellerrand hinaus.

Was wir brauchen, ist eine starke Regierung, die Zuverlässigkeit und Handlungsbereitschaft ausstrahlt. Zu Zeiten der großen Koalition war das so, als 2008 die erste Wirtschaftskrise gemeistert wurde.

Zur Zeit sieht es ja so aus, als ob Merkel und Sarkozy die Sache im Griff haben. Aber das ist nur eine Momentaufnahme und kann auch ganz schnell wieder kippen.

Wie wir vorgestern erfahren haben, wurden 9 europäische Staaten durch S&P (Standard & Poors) abgeratet, Frankreich war dabei.

Es nützt aber auch nichts, nur auf die amerikanischen Ratingagenturen zu schimpfen. Die haben doch Recht. Die bewerten doch nur den IST-Zustand. Und der ist entstanden durch die Schuldenmacherei unserer Politiker in der Vergangenheit. Wo Wohltaten mit der Gießkanne über vermeintliche Wählerklientel ausgeschüttet wurden, was maßlos übertrieben war.

Und es gleicht einem Naturgesetz: Sie können jeden Euro nur einmal ausgeben.

Nur die "Linken" haben das noch nicht begriffen.

Übrigens:

Wir Deutschen sollten uns mal gar nicht so mit dicken Backen dahinstellen und mit dem erhobenen Zeigefinger dem Rest der Welt zeigen, wie es geht.

"Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" ist hier absolut unangebracht.
(Emanuel Geibel, 1861)

Unser Schuldenstand hat nämlich auch bereits die 80%-Marke des BIP (=Bruttoinlandsprodukt) überschritten. Auch wir verstoßen permanent gegen die Maastrichtkriterien von 1992.

Auch wenn es uns besser geht, als vielen anderen Staaten, so ist hier Überheblichkeit absolut fehl am Platze.

Wenn ich eine Rechnung schreibe, oder der Herr Schumacher, oder der Herr Heyermann, oder viele andere hier im Saal, dann steht da unten in der vorletzten Zeile der Addition auf der linken Seite eine Prozentzahl. Bei den Meisten ist das eine 19, im Lebensmittelhandwerk auch schon mal eine 7. Bei uns ist es auf jeden Fall eine 19. Und das ist natürlich die Umsatz- oder auch Mehrwertsteuer genannt.

Das ist das Spielgeld, was wir an Sie überweisen, damit sie in Berlin, Düsseldorf und Köln die Geschicke unseres Landes leiten und zum Wohle des Bürgers ihre Politik gestalten, zumindest theoretisch ist das so, manchmal hapert es an der Praxis.

Es muss doch die Frage erlaubt sein, warum Millionengewinne binnen weniger Sekunden durch minimale Kursunterschiede mittels milliardenschwerer Buchungen, nicht wenigstens mit 0,1 Prozent besteuert werden.

0,1 Prozent; wir zahlen 19.

Was wir auch brauchen, ist eine Finanztransaktionssteuer.

Erinnern wir uns an die eben genannten Zahlen: 955 Billionen Dollar

Davon 0,1 % weltweit. Da kommt schon was zusammen.

Allein für Deutschland wird die Steuereinnahme auf rund 50 Milliarden geschätzt.

Und da ist die Politik gefragt, mit einer Stimme zu sprechen

Sie müssen Druck ausüben auf die, die nicht mitmachen wollen.

Der Widerstand der FDP darf hier nicht hingenommen werden.

Und Sie müssen Druck ausüben auch auf die anderen Staaten, die nicht mitmachen wollen. Und wenn England nicht will, müssen sie den Druck so erhöhen, dass sie gar nicht anders können. Es kann doch nicht sein, dass sich ganz Europa nach denen richtet.

Mit ihrer Blockadepolitik fahren die sowieso ein ganz gefährliches Manöver. Zuerst sperren sie sich gegen die Schuldenklausel in Europa und jetzt gegen die Finanztransaktionssteuer.

Wenn die auf der Insel nicht aufpassen, waren die brennenden Straßenzüge im letzten August nur der Anfang.

Und das passiert, wenn man den Menschen als den Mittelpunkt der Wirtschaft außer Acht lässt. Wir sind in der Vergangenheit zu sehr dem amerikanischen System aufgesessen: "Maximierung von Gewinn um jeden Preis".

Wirtschaft ist aber eben mehr, als bloße Zahlenspielerei. Wirtschaft hat auch eine ethische Dimension. Und Wirtschaft hat viel mit Psychologie zu tun.

Wir sind Jahrzehnte gut mit unserer "Sozialen Marktwirtschaft" gefahren. Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Der soziale Ausgleich ist wichtig. Weil damit Frieden in der Gesellschaft herrscht. Und der soziale Frieden in Deutschland ist einer der größten Errungenschaften der Nachkriegszeit. Daher darf die Schere zwischen "Arm" und "Reich" nicht weiter auseinandergehen. Als Bindeglied zwischen "Arm" und "Reich" fungierte bisher immer der Mittelstand. Nur wird gerade diesem Mittelstand in den letzten Jahren das Leben zusehends schwerer gemacht. Der Mittelstand ist immer stärker belastet worden.

Ich kann nur davor warnen, den Mittelstand sterben zu lassen. Das wäre ein Rückfall in Gesellschaftszustände, wie sie keiner hier im Saal haben möchte, davon bin ich überzeugt.

Ich komme jetzt auf ein anderes Thema:

Mein Vorstandskollege Wolfgang Floßbach sagt mir dauernd:

Du redest immer über die große Politik, Finanzwirtschaft, Euro, etc.

Sag doch mal was über Porz; wir sind ein Porzer Verein.

Nun ja, dann los:

Vor ca. 2 Jahren besuchte ich im Porzer Bezirksrathaus eine Veranstaltung von Herrn Dr. Mark Benecke, dem "Herr der Maden". Er ist Wissenschaftler und als Kriminalbiologe beschäftigt er sich mit dem Tod, bzw. mit toten Körpern und den Maden, Fliegen und weiteren Insekten, die sich an toten Körpern so richtig wohlfühlen. Der Vortrag war sehr informativ und unterhaltsam vorgetragen.

Zu Beginn beschrieb er mit seinem morbiden Charme seinen Gang vom Porzer Bahnhof zum Rathaus.

Ausgestiegen auf einem dreckigen Bahnsteig; die Wände mit Graffiti und Sprüchen verschmiert. Manche nennen so was auch Kunst, aber über Geschmack kann man wunderbar streiten.

Er erreichte die Fußgängerzone, wo einige Geschäfte leer standen, ging über den Hermannsplatz auf den Durchgang zum Friedrich-Ebert-Platz zu, wo sich Uringestank mit Frittenfettduft vermischte.

(Hertie hatte zu dem Zeitpunkt schon seine Türen endgültig geschlossen.)

Er betrat den leeren Friedrich-Ebert-Platz und als er an den Resten des niedergebrannten Pavillons vorbeikam, fühlte er sich fast wie in der New-Yorker Bronx.

Die marode Treppe zum Rhein hinunter mit den verwitterten Löwen und dem geschlossenem Häuschen von der KD rundeten das Bild ab. Er fühlte sich richtig heimisch bei seiner Arbeit.

Im ersten Moment dachte ich:

Ist der hergekommen, um uns schlecht zu machen und zu beleidigen. Aber ich brauchte nicht lange darüber nachzudenken, bis ich merkte:

Der Kerl hat ja recht. Es ist so. So sieht Porz aus, wenn man nicht durch eine rosarot gefärbte Porzbrille schaut. (Die führt nicht mal Optik Jahn).

Es ist so. So sieht Porz aus. So sieht ein Fremder, der das erste Mal nach Porz kommt, unsere Stadt, bzw. unseren Stadtbezirk.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich stehe nicht hier, um Porz schlecht zu reden. Ich gebe nur wider, welchen ersten Eindruck ein Auswärtiger von Porz hat und wir alle wissen, was der erste Eindruck zählt.

Der erste Eindruck ist der Wichtigste überhaupt, der Wichtigste bei jeder ersten Begegnung zwischen zwei Menschen, der Wichtigste bei jedem Bewerbungsgespräch, der Wichtigste bei jedem Verkaufsgesprächs.

Ist der erst mal dahin, bedarf es enormen Anstrengungen, ihn zu korrigieren, falls es dann überhaupt noch gelingt.

Wie gesagt. Ich stehe nicht hier, um Porz schlecht zu reden, aber es fehlt was hier in Porz.

Das eine ist natürlich Geld. Natürlich fehlt es an Geld. Aber das meine ich jetzt ausnahmsweise mal nicht. Ich meine etwas anderes, etwas viel Wichtigeres. Es fehlt etwas ganz Entscheidendes hier in Porz:

Es fehlen Visionen.

Es gibt Niemanden hier in Porz mit Visionen.

Es fehlt eine Vision, wie Porz in 20 oder 30 Jahren aussehen soll.

Das ist übrigens ein bleibender Eindruck der 60-Jahrfeier bei mir:

Herr Volkmar Schultz, der damals Leiter des Amts für Öffentlichkeitsarbeit war, umriss in seinem Vortrag die Geschichte der Stadt Porz. Unsere Stadtväter von damals hatten Visionen. Die wollten aus dem Nachkriegs-Porz eine blühende Stadt machen, was ihnen zum Teil ja auch gelungen ist. Zwar nicht überall, aber immerhin. Zum Teil kam ihnen ja auch die Eingemeindung dazwischen, wo dann viele Projekte gestorben sind.

Nein, was heute fehlt, sind Visionen:

Wie sieht diese Stadt in 20, 30, in 50 Jahren aus, wenn wir schon längst ins Gras gebissen haben.

Und da hat keiner von denen eine Antwort, denen wir alle 5 Jahre an der Wahlurne den Auftrag dafür geben.

Niemand ist da, der mal den Porzer Stadtplan ausbreitet und mit dem Radiergummi Platz schafft und neue Ideen entwickelt.

Der Einzige, der es mal versucht hat, ist unser ehemaliger BBM Horst Krämer. Er hat zumindest den Versuch gewagt und ist von Vielen damals ausgelacht worden oder als Spinner belächelt worden.

Nur, vom wem ist er ausgelacht worden:

Von Pessimisten, von Bedenkenträgern, von vermeintlich realitätsnahen Politikern aller Parteien, auch seiner Eigenen.

Aber er hatte ja sowieso keine Chance. Schaut man sich die politische Landschaft in Porz und Köln mit ihren Akteuren an, so ergibt sich folgendes Bild:

Kommt in Porz ein guter Vorschlag auf die Tagesordnung, so geschieht folgendes:

  • Er wird erst mal vom politischen Gegner zerredet.
  • Dann schaut man in seinem eigenen Archiv nach und stellt fest: Anno Pief hatten wir den Vorschlag auch schon mal gemacht: Also ist die Idee uns.
  • Man bringt den Vorschlag, leicht verändert, neu ein und behauptet: Wir sind die Besseren
  • Auch wenn sich die beiden Vorschläge nun nur marginal unterscheiden: Es wird gestritten wie die Kesselflicker; mit dem Ergebnis:
  • Es geschieht nix: Weder der eine noch der andere Vorschlag, beide quasi identisch, haben auch nur den Hauch einer Chance auf Verwirklichung

Fakto: "Et bliev wie et is".

Also, denken sich nun unsere Lokalpolitiker:

Warum aufregen; die Anderen sind doch die politisch Schuldigen. Das werde ich denen beim nächsten Wahlkampf schon sagen.

Nur, was bleibt für die Bürger übrig:

Nix.

Es tut sich nix, es bewegt sich nix.

Und das hat nichts mit Geld zu tun. Das hat was mit dem politischen Willen zu tun.

Das hat was mit "Anpackenwollen" zu tun, das hat was "Mit etwas bewegen wollen" zu tun.

Nur, wenn man nicht will, dann bewegt sich auch nix.

Jeder Mental-Coach predigt als erstes: Man muss es WOLLEN.

Der Wille ist das einzig Entscheidende. Der Wille, es zu tun zu wollen.

Ich schiebe hier mal eine kleine Geschichte ein:

Der Brite Roger Bannister war ein bemerkenswerter Mann. Statt mit einer Frau ging er abends mit einem Wecker ins Bett. Nicht, um die Weckzeit für den nächsten Morgen einzustellen, sondern um sich 4 endlos lange Minuten immer wieder eine Art inneren Film anzuschauen. Das heißt, 4 Minuten waren es gerade nicht, sondern ein paar entscheidende Sekundenbruchteile weniger: Es waren exakt 3 Minuten, 59 Sekunden und 4 Zehntel.

Sie denken jetzt sicher: Was soll das, was erzählt der Kerl da oben. Ich komme gleich darauf.

In den 50-er Jahren gab es im Sport eine Schallmauer, die weltweit als unüberwindbar galt: Kein Mensch ist imstande, die Meile (= 1.609 m) in einer Zeit unter 4 Minuten zu laufen.

Diese Meinung stand so fest wie eine Mauer. Alle Mittelstreckenläufer der Welt versuchten vergeblich die 4 Minuten zu unterbieten. 1953 lag der Rekord bei 4:04,2 Minuten.

Auch zahlreiche Wissenschaftler versuchten zu beweisen, dass es aus physiologischer Sicht für den menschlichen Körper unmöglich ist, die Meile unter 4 Minuten zu laufen: Die Sauerstoffzufuhr sei zu gering, der Blutaustausch sei viel zu langsam, und so fort.

Die 4 Minuten markierten eine klassische Ideengrenze: Die Erfahrungstatsache, dass noch kein Mensch die Meile in weniger als 4 Minuten gelaufen war, hatte sich in den Köpfen festgesetzt wie ein Naturgesetz, ein unumstößliches Naturgesetz, empirisch bewiesen.

Bis Roger Bannister eines Tages damit anfing, den Wecker neben sich auf den Nachttisch zu stellen.

Was machte er: Er trainierte; nicht mit seinen Beinen (das machte er tagsüber reichlich), sondern in seinem Kopf.

Während der Wecker tickte, stellte er sich vor, wie er die Meile lief, vom Start bis zum Ziel: Meter für Meter, Sekunde für Sekunde, bis zum beifallumtosten Finish;

Und zwar immer in exakt 3 Minuten, 59 Sekunden und 4 Zehntel.

Er wollte es der Welt beweisen, er war davon überzeugt, dass man, dass ER es schaffen kann.

Am 6. Mai 1954, abends um 18:00 Uhr war es soweit:

Unter Aufbietung aller Kräfte kämpfte er sich ins Ziel und fiel erschöpft in die Arme seines Freundes Nicholas Stacey. Der Stadionsprecher Norris McWhirter hatte die Ehre, den Weltrekord zu verkünden: Als er begann, die Zeit zu verlesen, brach beim Wort "Drei" solch ein Jubel aus, dass der Rest unterging.

Sie wissen schon, was passiert ist:

Er lief die Meile in exakt 3 Minuten, 59 Sekunden und 4 Zehntel.

(Übrigens:
Bevor mir gleich jemand mit Plagiatsvorwürfen kommt. Die Geschichte habe ich aus dem Buch "Träume wagen" von Thomas Baschab.)

Was will ich mit der Geschichte sagen:

Natürlich nicht, dass sich heute Abend jeden seinen Wecker neu einstellt.

Ich will damit sagen, dass ich bei fast allen Beteiligten hier in Porz, aber auch in Köln eine Mauer im Kopf ausgemacht habe.

Eine Mauer, die scheinbar nicht zu überwinden ist, weil sie immer schon da war.

Eine Mauer, die scheinbar nicht nieder zu reißen ist, weil man sich sagt, dass die Kraft dazu sowieso nicht reicht.

Eine Mauer im Kopf, die die Sicht auf die Zukunft verstellt und jegliche Visionen unmöglich, weil nicht sichtbar macht.

Ich will damit sagen, dass der Wille nicht vorhanden ist, etwas "Anzupacken", was auf den ersten Blick unmöglich scheint.

Es fehlt der Wille, eine Vision zu entwickeln.

Es fehlt der Wille, die Zukunft dieses Stadtteils aktiv zu gestalten.

Nur:

Wenn man sich natürlich lieber mit sich selber beschäftigt und beweihräuchert, bleibt der Wille auf der Strecke.

Ich wünsche mir für das Jahr 2012 die Kooperation aller politischen Kräfte in Porz und Köln, um diesen Stadtteil endlich wieder auf die Spur zu bringen, um endlich wieder eine Vision zu haben, was man mit diesem schönen Stadtteil noch machen kann und wie man ihn entwickeln kann.

Wenn man diese Vision hat, dann kann man anschließend über die Finanzen reden. Aber erst gar keine Visionen zu entwickeln, weil "Das ist ja sowieso nicht finanzierbar." ist der falsche Ansatz.

Es zeugt von Resignation. Und Resignation führt dann zu Depression und Depression führt letztendlich zum Suizid (hier nicht der Menschen, sondern des Stadtteils).

Und mit Suizid meine ich hier die Verwahrlosung eines Stadtteils. Eine Verwahrlosung, die in Teilen bereits eingesetzt hat und die dringend rückgängig gemacht werden muss.

Noch ist es Zeit, was zu machen. Noch ist es Zeit, die Sache anzupacken.

Natürlich ist das leerstehende Hertie-Kaufhaus ein Klotz am Bein, ein tiefe Wunde inmitten der Stadt. Aber wir können doch nicht noch 3 Jahre warten, in denen sich nichts tut, weil irgendwelche ausländischen Investoren keine Entscheidungen fällen. Da nützt es auch nichts, über die zu schimpfen.

In der Zwischenzeit können doch schon mal andere Projekte angefasst werden. Ich habe natürlich auch keine Patentrezepte in der Schublade liegen. Aber wir können ja schon mal mit dem Rheinufer anfangen. Was hindert uns daran, da unten eine schöne Promenade entstehen zu lassen mit attraktiver Außengastronomie. Ich halte die beiden Gaststätten, die zur Zeit dort unten sind, für einen Anfang, aber nicht für das Ende der Ausbaustufe.

Die Treppe am Rathaus mit der Mauer sollte bereits letztes Jahr fertiggestellt sein. Da tut sich immer noch nichts. Gott sei Dank ist wenigstens die Zaunvariante vom Tisch.

Es muss sich endlich mal was bewegen in dieser Stadt. Wir sitzen alle wie das Karnickel vor der Schlange und warten darauf, dass der große Investor in England sich bewegt. Das kann es doch nicht sein.

Und wenn die Kölner Verwaltung 2 Jahre braucht, um sich in der Tiefgaragenfrage zu bewegen, dann ist das einfach zu lange.

Die Stadt Köln hat Jahrzehnte die Einnahmen, entweder direkt oder indirekt über die Miete aus dieser Tiefgarage gezogen und keine Rücklagen gebildet. Jeder Einfamilienhausbesitzer weiß, dass es mit der einmaligen Errichtung eines Hauses nicht getan ist. Da muss man immer wieder von Zeit zu Zeit, Geld in die Hand nehmen und renovieren; z.B. ein neuer Anstrich und vieles mehr.

Nur bei der Stadt Köln weiß das anscheinend keiner. Da wird das Geld aus der Tiefgaragenpacht verwendet, um irgendwelche anderen Löcher zu stopfen. Und wenn der Sanierungsfall da ist, schaut man sich erstaunt an und macht ein dummes Gesicht.

Nur, und jetzt komme ich wieder zu den politisch Verantwortlichen:

Da muss man auch mal die Reihen schließen und eine Sprache sprechen.

Da muss man den Parteifreunden in Köln auch mal Dampf machen.

Dafür braucht man natürlich auch Stehvermögen und Rückgrat.

Natürlich ist eine attraktive Kölner Innenstadt wichtig für Köln und den Tourismus. Davon profitieren wir alle. Allein im letzten Jahr sind die Hotelübernachtungen 2-stellig gewachsen. Dafür sind auch Museen und andere kulturellen Einrichtungen notwendig. Eine Umfrage bei den Gästen hat deren Bedeutung bestätigt.

Aber es kann doch nicht sein, dass darüber die Randbezirke in einem Maße vernachlässigt werden, dass sie verkommen und verwahrlosen.

Hier ist endlich dringender Handlungsbedarf geboten.

Ich möchte zum Schluss noch betonen, dass ich ihr ehrenamtliches Engagement durchaus zu schätzen weiß. Sie verbringen ihre Freizeit in der Bezirksvertretung, im Rat und den Gremien und bekommen dafür "en Appel un en Ei". Daher kann ihr Engagement gar nicht hoch genug bewertet werden.

Aber umso mehr stellt sich doch dann die Frage:

Warum raufen Sie sich nicht endlich mal zusammen und bewegen was, anstatt immer nur wegen Marginalien aufeinander einzudreschen.

Aber es gibt auch tatsächlich etwas Positives zu berichten:

Letztes Jahr hat sich in Porz ein "Runder Tisch" gebildet aus Politik, Verwaltung und Innenstadtgemeinschaft.

Es liegt ein Konzept für die Umgestaltung der Hauptstraße vor. Schauen wir mal, was daraus wird.

Und in Lind soll ein Dorfplatz neu gestaltet werden. Hier haben sich, man höre und staune, doch tatsächlich CDU und SPD mit der Linder Bürgervereinigung zusammengetan und etwas bewirkt. Manchmal geht es halt. Man sollte in diesem Zusammenhang nur nicht verschweigen, dass das 20 Jahre gedauert hat. 20 Jahre um einen Dorfplatz zu gestalten. Das sind wahrlich Leistungen, die Beachtung finden sollten.

Es besteht noch Hoffnung und wie man so schön sagt:

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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